SuppKultur: Erzählstation

Ermöglicht durch das Quartier U1 (Gefördert als Akteursprojekt im Quartier U1) – Alle U-Bahn-Stationen des Quartier U1 und deren Umfeld

Die SuppKultur konnte im Rahmen des Quartier U1 ihr Zeitzeugenprojekt ERZÄHLSTATION verwirklichen. Zum Abschluss Ende Juli standen drei Veranstaltungen, eine öffentlich, eine nichtöffentlich, eine im Stream, und vier Interviews. Die SuppKultur ist ein Kultur veranstaltendes Duo, bestehend aus Stephan Goldbach (Musiker) und Andreas Thamm (Autor). Wir organisieren Abende mit Text, Musik und Suppe, die, jede auf ihre Weise, versuchen, die obligatorisch gewordenen Konventionen von Lesungen und Konzerten aufzubrechen und neu zu denken.  

Erzählstation heißt: Wir haben uns auf die Suche nach Menschen gemacht, die sich an die 40er- bis 60er-Jahre erinnern. Um: a) deren Geschichten aufzubewahren und b) zur Aufführung zu bringen. Das Projekt hatte von vornherein Versuchscharakter; als Interviewende befanden wir uns in großer Abhängigkeit von unseren potentiellen Gesprächspartner*innen. Grundsätzlich war es notwendig, davon auszugehen und zu kommunizieren: Jeder Mensch ist interessant, jede Geschichte ist erzählenswert, wir suchen nicht die großen, weltbewegenden Tragödien, sondern die kleinen, privaten Anekdoten, die uns vielleicht mehr darüber erzählen können, wie das damals war. Und uns Nachgeborenen damit die Möglichkeit eröffnet, uns auch emotional an ein Früher anzunähern. 

Der zweite Schritt bedeutete die Aufgabe, mit diesem gewonnenen Material so umzugehen wie wir es sonst mit eigenen Texten oder denen unserer Gastautor*innen tun: Das richtige Konzept für eine Veranstaltung finden, den richtigen Ton, mit Gastmusiker*innen gemeinsam einen musikalischen Rahmen konzeptionieren und bauen, der dem Anspruch gerecht wird, mehr zu sein als Begleitmusik. Und, nicht unwichtig: Für diese Art von Veranstaltung den geeignetsten Ort und ein Publikum finden.  

Hemmnisse und Herausforderungen:  

Das offensichtlichste zuerst: Die Pandemie erschwerte uns den Zugang zu unserer Zielgruppe. Noch vor Corona konnten wir einen Termin in der Stadtmission Nürnberg vereinbaren. Die dortige Ansprechpartnerin versorgte uns mit Material zum Thema Biographiearbeit, das für unsere Vorbereitung und die Suche nach den richtigen Fragen wertvoll war. Frau Knopp erzählte nach unserem Gespräch aber auch im persönlichen Umfeld von der Erzählstation, woraufhin sich unsere erste Gesprächspartnerin bei ihr meldete. Frau Cuntze konnten wir daher glücklicherweise noch treffen, bevor das Infektionsrisiko zu groß war.  

Danach, ab Mitte März, kamen alle Bemühungen zunächst zum Erliegen. Geistig war die Erzählstation für uns bereits in den Herbst verschoben. Im Mai kontaktierten wir dann trotzdem einige Senioreneinrichtungen, stellten ihnen unser Projekt vor und fragten, ob es denkbar sei, diese Interviews auf eine vertretbare Art und Weise zu führen. Antwort erhielten wir nur vom Seniorenwohnpark Neulichtenhof. Die dortige Diakonin Frau Jacoby hielt das Projekt für unterstützenswert und Interviews für denkbar, entweder im Garten oder auf Abstand. Der Seniorenwohnpark ist aber auch kein Altenheim, sondern eine Einrichtung, in der Bewohner*innen ihre eigenen Wohnungen mieten und ein individuelles Betreuungsangebot dazubuchen. 

Frau Jacoby war für das Projekt sehr entscheidend, weil der Erfolg letztlich immer auch auf Vermittlungsarbeit basiert. Das heißt, wir standen in Kontakt mit einer Person, die unsere Zielgruppe sehr gut kennt und uns direkt eine zweite und dritte Gesprächspartnerin vermitteln konnte. Beim zweiten Interview wurden wir allerdings mit einer Situation konfrontiert, die wir nicht vorhergesehen hatten: Unsere Anfrage erregte Skepsis, nicht bei Frau Knauer, der Bewohnerin, sondern bei deren Tochter. Diese hielt uns zunächst wahrscheinlich für Trickbetrüger, dann nach etlichen Erklärungen immer noch für nicht professionell. Sie befürchtete, würde ihr Mutter über die Kriegs- und Vertreibungserinnerungen sprechen, könnten Traumata ausgelöst werden und unterband tiefergehende Fragen durch ihren Einspruch. Das Interview musste nach kurzer Zeit abgebrochen werden. Die zweite Gesprächspartnerin im Seniorenwohnpark, Frau Freyeisen, war dafür ein umso größerer Gewinn. Ein viertes Gespräch kam über die Vermittlung des Deutsch-Amerikanischen Frauenbunds zustande.  

Weitere Herausforderungen, die spürbar wurden, haben mehr mit a) der eigenen Organisation und b) dem eigenen Anspruch an die Veranstaltungen zu tun. Zu a): Als erstes längerfristiges Projekt der SuppKultur hat die Erzählstation natürlich einen gewissen Lerneffekt erzielt. Auch wenn die Erkenntnis vergleichsweise banal ist: Die Aufgabenverteilung sollte von Anfang an klar sein und der persönliche Austausch auch dann noch weiter regelmäßig stattfinden, wenn das Projekt sich gerade im Stand-by-Modus befindet. 

Zu b) Wie oben bereits beschrieben, gibt es die SuppKultur auch als Reaktion auf eine Unzufriedenheit mit bekannten Formaten der Kulturvermittlung. Das heißt erstens auch, dass man davon ausgeht, dass ein Besser möglich ist und zweitens, dass jede Veranstaltung an diesem Anspruch zu messen ist. Zum eigenen Anspruch gehört es beispielsweise, dass die Musik nicht untergeordnet, begleitend vorkommen soll, sondern als der Lesung gleichwertig präsentiert wird (auf welche Art auch immer). Im Fall der Erzählstation hatten wir es gleichwohl stark mit Inhalten zu tun, die gewonnen wurden, die vermittelt werden wollten, um die es ging.  

Keine der drei Veranstaltungen konnte uns am Ende vollständig überzeugen, aber alle drei waren hilfreich, um sich der bestmöglichen Vermittlung der Erzählstation-Geschichten weiter anzunähern. Dabei geht es dann allerdings viel mehr um konzeptuelle Programmarbeit, Komposition, vielleicht dramaturgische Überlegungen, die in einem halben Jahr, in dem auch die Geschichten gesammelt werden, gar nicht zu leisten gewesen wäre.  

Reaktionen im/Wirkung aufs Quartier 

Zwei Veranstaltungen fanden direkt im Quartier statt und können als temporärer kultureller Beitrag zum Quartier betrachtet werden: Öffentlich im Z-Bau-Biergarten, für ein junges Publikum, in Begleitung des Gitarristen Michael Schumacher. Und nichtöffentlich im Seniorenwohnpark Neulichtenhof in Begleitung des Trio Miosko. Vor allem zweiteres bleibt als emotionales Highlight in Erinnerung. Im Seniorenwohnpark ging es darum, Frau Freyeisen, die uns sehr freimütig und geduldig erzählt hatte, ihre Geschichte zurück zu bringen. Aber auch: Allen Seniorinnen und Senioren, die im Garten oder vom Balkon aus zuhören konnten, eine schöne, unterhaltsame Stunde in einer für diese Gruppe besonders schwierigen Zeit zu ermöglichen.  

Der schönste Effekt und das größte Kompliment für unsere Arbeit war, dass danach Gespräche zustande kamen. Dass Menschen sich inspiriert und angeregt fühlten, sich mit uns aber auch untereinander über ihre Erinnerungen auszutauschen. Die Erzählstation ist jetzt in der Welt und verschwindet nicht mit Ablauf der Akteursförderung, im Gegenteil: Durch die Zusammenarbeit mit der ISKA, dem Stadtarchiv sowie dem Erzählcafé auf AEG haben wir mittlerweile einen gewissen Pool an Kontakten, über die wir weiterhin Geschichten sammeln werden. Diese Arbeit findet statt und wird begleitet von Überlegungen, diese Erinnerungen auf eine andere, eher szenisch dramatische Weise zu inszenieren. 

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